Hallo liebe Genoss_innen,
Freund_innen und Interessierte.
Wir, das heißt die sechs Beschuldigte aus unterschiedlichen Städten, werden am 14. April diesen Jahres unseren Prozess zu einer uns vorgeworfenen antimilitaristischen Sachbeschädigung haben.
Uns ist in unseren Gesprächen klar geworden, dass der anstehende Prozess als solcher für uns keine besonders große Rolle spielt. Klar, wir müssen uns um Sachen kümmern, Repressionsscheiße besprechen, Kohle ran schaffen usw. aber uns untereinander geht es gut. Wir haben Menschen, die aufeinander achten, uns unterstützen, wir können miteinander reden und Unterschiede aushalten.
Wir haben dem Gericht, dem Richter und Staatsanwalt herzlich wenig zu sagen, sie sind weder für uns noch für unser Leben ein Bezugspunkt. Euch hingegen, die mit denen wir Kämpfe und Hoffnungen teilen, wollen wir ein paar Gedanken und Ideen mitteilen.
Ausgangspunkt der ganzen Geschichte ist das erste „War starts here“ Camp gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) 2012, in dessen zeitlichen Rahmen fünf von uns in einer MEK-Aktion unter vorgehaltenen Waffen aus einem Auto in Magdeburg gezogen worden sind. Diesen fünf wird die farbliche Umgestaltung eines Ingenieurbüros vorgeworfen, welches für die Planung der Übungsstadt „Schnöggersburg“ auf dem GÜZ zuständig ist. Dem sechsten Beschuldigten wird Beihilfe zur Last gelegt, weil er der Fahrzeughalter des Autos war. Ihm wird in einem weiteren Verfahren „eine versuchte Wehrsabotage“ vorgeworfen, in dessen Verlauf ihm nach achteinhalb Monaten der Verweigerung im September 2014 eine DNA Probe zwangsweise abgenommen wurde. (Weitere Informationen findet ihr in den älteren Posts hier auf diesem Blog.)
Wir werden vor Gericht von unseren Gefährt_innen begleitet. Wir haben uns entschieden auf eine größere Mobilisierung zu unserem Prozesstermin zu verzichten. Denn es gibt so viel geeignetere Orte als Gerichtssäle auf dieser Welt. Wir gehen davon aus, dass wir uns an diesen wiedersehen.
In diesem Text wollen wir einige Gedanken und Informationen mit euch teilen, die wir im Zusammenhang mit unserem Prozess besonders erwähnenswert finden.
Aufstandsbekämpfung
Austeritätspolitik, Liberalisierung, Präkarisierung – Immer mehr Menschen in Europa fehlt eine ausreichende Grundversorgung, insbesondere in den überschuldeten Staaten der Eurozone. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die betroffenen Bevölkerungen das nicht mehr lange mit machen und vom Protest zu einer entschiedenen Gegenwehr übergehen. Der 18. März 2015 in Frankfurt am Main gibt eine kleine Ahnung davon.
Zumindest für die herrschende Ordnung bedeutet dieses Potential eine Gefahr, die bekämpft werden muss. In mehreren Studien politischer Think-Tanks, wird dargestellt, dass die urbanen Auseinandersetzungen die „Zukunft der Kriegsführung“ sind. So sieht beispielsweise das Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union (ISS) in den „Perspektiven für die Europäische Verteidigung 2020“ die Aufgabe künftiger Militäreinsätze unter anderem im „Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen“.
Aufgrund dieser Einschätzung genügt es nicht mehr allein, die EU nach außen zu schützen und die Interessen in entfernten Kriegen zu vertreten. Es muss zusätzlich die Kontrolle im eigenen Land garantiert werden. Das heißt, hier geht es um die klassische Aufstandsbekämpfung und um eine Aufhebung der Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgabenbereichen.
Zwischen 2010 und 2013 hat die Bundespolizei an 73 gemeinsamen Übungen mit ausländischen Sicherheitskräften teilgenommen u.a. mit Gendarmerien. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern gegen Aufstände und soziale Unruhen ist mit den 1968 verabschiedeten Notstandsgesetzen legal. Und auch der Aufbau von Regionalen Sicherheits- und Unterstützungskompanien (RSUKr) für den „Heimatschutz“, zur Unterstützung für Polizei bei der Aufstandsbekämpfung zieht die oben genannte politische Linie fort. Diese RSUKr bestehen ausschließlich aus Reservisten der Bundeswehr und sollen seit 2013 aus 27 Kompanien mit einer „Personalstärke von 2.700 Mann“ bestehen. Ihr Einsatz im Rahmen der „Amtshilfe“ ist auch bei der „Bekämpfung organisierter und militärischer bewaffneter Aufständischer“ oder „widerstrebender“ Bevölkerungsteile möglich.
Im Juni 2012 probten deutsche und österreichische Polizeibeamte in Bayreuth das Szenario „Hausbesetzung, Wohnungsdurchsuchung, Schießen, Naturkatastrophe, Schwimmen und Retten, Begleitschutz“. Ende November 2012 wurde mit belgischen und luxemburgischen Polizeikräften in Bad Bergzabern „Blockadebeseitigung“ geübt. Am 10. Oktober 2013 fand in Quierschied Göttelborn im Saarland die Übung „Demonstration“ statt, an der eine Bereitschaftshundertschaft der saarländischen Polizei, eine Hundertschaft der französischen Gendarmerie mobile und eine Hundertschaft der Compagnies Républicaines de Sécurité teilnahmen. Als Übungslage wurde ein Aufzug mit Zwischen- und Abschlusskundgebung in Anlehnung an das Demonstrationsgeschehen der „Blockupy Aktionstage“ zugrunde gelegt, was die Bundesregierung am 13. Februar 2014 eingestanden hatte.
Die europäischen Regierungen bereiten sich darauf vor, soziale Proteste und Aufstände gemeinsam militärisch niederzuschlagen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sowie die juristischen, technischen und militärischen Vorbereitungen dafür sind weit fortgeschritten.
So wurde 2006 die Europäische Gendamerietruppe, European Gendarmerie Force (EGF oder Eurogendfor) mit Sitz im norditalienischen Vicenza gegründet. In der EGF sind acht europäische Gendarmerien vertreten, die türkische hat einen Beobachterstatus. Laut Wikipedia gehören zum Aufgabenbereich der EGF „der Schutz von Besitztümern und Menschen sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung im Falle einer ‚öffentlichen Störung‘.“ Ihre ersten Einsatzgebiete waren Bosnien und Herzegowina, Afghanistan und Haiti. Und auch wenn Deutschland nicht Mitglied in diesem Verein ist, kann die Truppe zur Aufstandsbekämpfung auch in Deutschland eingesetzt werden. Gegen Antiatomproteste im Wendland wurden übrigens bereits französische Gendarmariekräfte bei Prügelüberfällen beobachtet.
Im Juni 2014 verabschiedete der Europäische Rat für Allgemeine Angelegenheiten die Anwendungsbestimmungen für Artikel 222, der auch als „Solidaritätsklausel“ bezeichnet wird. Er legt fest, dass die Europäische Union „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel“ mobilisiert, „wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist“. Als „Katastrophe“ gilt dabei „jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann“, heißt es in einem begleitenden Papier. Ziel gesamteuropäischer Polizei- und Militäreinsätze können demnach auch Streiks, Demonstrationen und Aufstände sein, die kritische Einrichtungen der Infrastruktur oder Banken und Konzerne gefährden.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde der ATLAS-Verbund gegründet, eine polizeiliche Spezialeinheit, die mit EU-Geldern finanziert wird. Aus einer politischen Initiative der EU heraus entwickelt, um Terrorismus zu bekämpfen, sollen die Einheiten aber auch gegen schwere Gewaltkriminalität vorgehen. Heute beherbergt der Verbund 37 Eliteeinheiten von 28 EU-Ländern, darunter die deutsche GSG 9. Das Netzwerk koordiniert gemeinsame Schulungen und Übungen, aber vor allem wird gemeinsam geübt.
Gefechtsübungszentrum
In diesem Zusammenhang spielt das Gefechtsübungszentrum Heer (GÜZ), Europas modernster Truppenübungsplatz eine bedeutende Rolle. Von Kämpfen in Städten bis zum Gefecht von Panzergruppen werden hier in der Altmark, in der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt militärische Interventionen von Luft- und Bodenmilitärtruppen simuliert. Seit 2012 entsteht hier zudem das größte Übungszentrum für Aufstandsbekämpfung Europas. Ab 2017 soll „Schnöggersburg“ für den urbanen Häuserkampf bereitstehen.
Schon jetzt werden auf dem 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz jährlich 20.000 bis 25.000 Soldaten aller Truppengattungen inklusive der Sondereinsatzkräfte in sechs kleineren Siedlungen im Häuserkampf trainiert, die bisher „afghanischen und kosovarischen Bedingungen“ nachempfunden wurden.
Da die Unruhen und Aufstände nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden aber in Ballungsgebieten beginnen, baut die Bundeswehr die Geisterstadt Schnöggersburg, in der Spezialkommandos und Elitesoldaten für die Niederschlagung sozialer Aufstände realitätsnah ausgebildet und trainiert werden sollen. 520 Gebäude werden auf sechs Quadratkilometern für 100 Millionen Euro gebaut. Das Übungsumfeld wird von Industrieanlagen, über fiktive Autobahn und sogar einen Flugplatz mit einer 1700 Meter langen Graspiste verfügen. Nach der Fertigstellung der 100-Mio-Euro-Geisterstadt werden hier EU- sowie NATO-Kampfverbände gemeinsam den Krieg in der Stadt und gegen die Stadtbevölkerung proben.
ICL-Ingenieur und Consulting
Das Bauplanungsbüro ICL-Ingenieur und Consulting, mit einer Niderlassung in Sülzetal (Ungleichen 3) bei Magdeburg, die von Unbekannten rosa markiert wurde, sowie Büros in Berlin (Michaelkirchplatz 11) und Leipzig (Diezmannstraße 5) sicherte sich am 27.6.2012 die Bauplanung für die Aufstandsbekämpfungsstadt Schnöggersburg mit einem Auftrags-Volumen von 4,5 Mio. Die ICL ist daher Kooperationspartner der Bundeswehr und verdient gut und gerne an der Vorbereitung von Krieg und Aufstandsbekämpfung.
Rheinmetall
Der Betreiber „Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark“ vermietet das Übungsgelände an die Bundeswehr und andere europäische Armeen, ist Dienstleisterin der gesamten Technik und Logistik und leistet die Vorarbeit für die militärischen Analysen. Für rund 70 Mio Euro übernahm der Konzern für weitere 4 Jahre den Weiterbetrieb des GÜZ.
Von Anfang an verdiente Rheinmetall an der Rüstung. Bereits der erste und zweite Weltkrieg hat das Unternehmen zu einem der größten Rüstungskonzerne weltweit gemacht. Weder die Beschäftigung von Zwangsarbeiter_innen noch die massive Zerstörung der Produktionsstätten zum Ende des zweiten Weltkriegs konnte die Kontinuität des Düsseldorfer Unternehmens wirksam in Frage stellen. Bis heute läuft das Todesgeschäft des deutschen Großmeisters hervorragend – nunmehr mit einem weltweit engmaschig verteilten Firmennetz.
In Nischni Nowgorod an der Wolga sollte Rheinmetalls größtes und weltweit modernstes Gefechtsübungszentrum entstehen. Mit 500 Quadratkilometern und mehr als 30.000 durchgeschleusten professionellen Mördern eine Art Maxi-Version des GÜZ. Im Zuge der Ukraine-Krise im vergangenen Jahr wurde die Errichtung dieser Übungsanlage in Russland und die Lieferung der dazu nötigen Anlagen zunächst verboten. Seit März 2015 fordert der Rüstungskonzern nun 120 Mio Euro Schadensersatz vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, um im Interesse der Aktionäre des Unternehmens Schäden „zu vermeiden und zu minimieren“. Dabei warten zahlreiche weitere ertragreiche Geschäfte:
Rheinmetall und EADS hatten bereits vor drei Jahren darauf gesetzt und die notwendige Zusicherung erhalten, dass auch Deutschland eine Eigenentwicklung von Drohnen vorantreiben wird. Am Rüstungsstandort Bremen wurde dazu 2012 das neue Gemeinschaftsunternehmen Cassidian-Rheinmetall gegründet. Mit Verspätung kam nun das erwartete OK der Bundesregierung für eigene Kampfdrohnen.
Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg hat Rheinmetall Defence Electronics wichtige Funktionäre in der griechischen Regierung sowie hohe Militärs geschmiert um abzusichern, dass der Konzern an wichtigen Milliardendeals beteiligt wird. Griechenland hatte mit Panzer- und U-Boot Lieferungen bis weit in die Krisenjahre hinein – gemessen an seiner Wirtschaftsleistung – die höchsten Rüstungsausgaben in der Europäischen Union.
Längst läuft das Geschäft auch unterhalb der Großprojekte-Ebene innerhalb der Rüstungssparte konstant. Die gewaltsame Unterdrückung von Aufständen wie 2011 in Bahrain geschieht mit Hilfe des von Rheinmetall Defence gelieferten Tränengases – Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland.
Gegen jeden Militarismus, gegen jeden Krieg, gegen jede Autorität!
Schauen wir zurück auf die letzten Jahre so wird schnell deutlich, dass Krieg kein historisches Phänomen ist, sondern traurige Aktualität besitzt. Ob neokoloniale Interventionen oder Bürgerkriege, es scheint als sei Krieg weiterhin ein lohnenswertes und legitimes Mittel für die Absicherung von Herrschaft. Ob Rüstung oder Beteiligung im internationalen Militarismus, auch die BRD ist dauerhaft aktiv an Kriegen beteiligt.
Es ist wichtig zu erkennen, dass die Kriege der Herrschaft Konflikte sind, in denen wir uns aus revolutionärer Perspektive verweigern müssen.
Gegen jeden Krieg! Denn alles andere würde bedeuten ihre Logik der Notwendigkeit zu rechtfertigen und dem Militarismus zu verfallen. Revolutionärer Widerstand wird jedoch immer wieder vor genau diese Probe gestellt werden und beweisen müssen, sich nicht vor den Karren des kleineren Übels spannen zu lassen. Wir wollen selbstorganisierte und antiautoritäre Kämpfe für die Freiheit und werden weiterhin jede Uniform und jeden Befehl verweigern!
Im täglichen Zwiespalt zwischen angeblichem sozialen Frieden und systematischer Gewalt und Ausbeutung, die diese vorgetäuschte Ruhe sichern, müssen wir der Normalität entschieden ein Ende setzen.
Einige Betroffene & Unterstützer_innen
3 . April 2015